Freitag, 16. April 2010

Verkehrte Welt

Warum sind eigentlich die Sitz-plätze in Fahrtrichtung («fürschi fahre») immer zuerst besetzt? Benedikt S., Zurich

Es ist eine Art von archaischem Reflex, der die Menschen zuerst die Sitzplätze in Fahrtrichtung einnehmen lässt – einen pro Abteil, versteht sich, und meistens zuerst den am Fenster. Erst danach füllen sich die anderen Plätze. Mit logischen Argumenten lässt sich dies nicht erklären. Untersuchungen haben eindeutig gezeigt, dass man besser mit dem Rücken zur Fahrrichtung fährt, denn wenn so eine Zugkomposition einmal aus den Schienen springt oder auf ein Hindernis auffährt, wird man nicht nach vorne katapultiert, sondern «nur» in den Sessel gedrückt. Es muss eine andere Erklärung für dieses in allen Ländern und Kulturkreisen übliche Reiseverhalten geben. Und diese könnte evolutionsgeschichtlich sein bzw. in der frühen Rezeption von Mobilität liegen. Unsere Vorväter sassen einst mit der Nase nach vorne auf dem Pferd. Und ein Kleinkind lernt, sein Dreirad nach vorne hin zu bewegen, so wie später das Trottinett oder das Automobil. Also strebt der Mensch später im Leben auch nach vorne, selbst wenn man mit der aktiven Fahrtätigkeit gar nichts mehr zu tun hat. Ich empfehle übrigens grundsätzlich den rückwärts gewandten Platz am Gang. Erstens ist der meistens noch frei, zweitens sitzt man zum Gang hin bei Vollbesetzung des Abteils weniger beengt und drittens ist es wunderbar, die Welt draussen «in verkehrter Richtung» an sich vorbeiziehen zu sehen. Die Welt gleitet von einem weg, und das entspannt ganz eindeutig stärker, als wenn alles im Schnellzugtempo auf einen zuschiesst. Probieren Sie es aus!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen