Freitag, 16. April 2010

Private Rituale

Was ist davon zu halten, wenn sich junge Damen auf dem 6.30-Uhr-Zug morgens vor allen anderen Mitreisenden schminken? Jolanda R., Arbon

Nun ja, werte Leserin, Ihre Frage ist suggestiv gestellt: «Was ist davon zu halten?» Mir scheint, Sie halten selbst nicht viel davon – und wissen Sie was? Ich neige spontan dazu, mich auf Ihre Seite zu schlagen! Denn ich habe es in meiner «Aktivzeit» als Ostschweiz-Pendler oft genug selbst erlebt, wie 16-jährige, von der zurückliegenden Nacht noch völlig ermattete Girls in ihren Kulturbeuteln kramen, die Spiegelchen zücken und sich mit grösster Gelassenheit für den Alltag fein machen.  Aber wir wollen nicht zu streng sein mit den Kids, die ohnehin für alles, was sie tun, an den Pranger gestellt werden, und ihnen eine gewisse juvenile Narrenfreiheit gönnen. Immerhin macht Schminken keinen Lärm. Deshalb gilt: Wer noch nicht zwanzig ist und es mit Würde und Anmut hinbekommt, sich in einer voll besetzten S-Bahn mit all seinem Geruckel und Gedränge zu schminken, der darf eigentlich schon fast eine Mütze aufstellen, in die andere Passagiere eine Münze werfen sollten. Alle anderen, insbesondere reifere Damen, die dieses Ritual nicht in den eigenen vier Wänden hinbekommen, sollten dringend zum Zeit­management-Doktor. Denn Schminken ist wie Zähne putzen, Nasenhaare zupfen oder Nägel schneiden ein privates Theater, das man am besten nicht vor wildfremden Menschen aufführt.

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