Freitag, 16. April 2010

Notfalls ankuscheln

Wenn der Fensterplatz belegt ist, ich mich aber auf den Gangplatz setzen möchte, macht die Person ihre Beine oft so breit, dass man den Platz kaum einnehmen kann. Sich an die Person zu schmiegen ist selten appetitlich. Was nun? Michael K., Spiegel b. Bern

Lieber Michael, diese Frage haben wir vor zwei Jahren in der allerersten Stilkolumne von «via» schon einmal besprochen. Es ist die mit Abstand am häufigsten gestellte Frage unserer Leser. Weil aber das Heft vom Sommer 2007 auch im hintersten Winkel des Bahnnetzes nicht mehr in den Abteilen hängen dürfte, kommen wir gerne auf das Problem zurück.Sie müssen wohl etwas mehr von sich geben als das abgelutschte «’sch no frei?». Gegen diese Tausendfach-Floskel sind viele Menschen heute offenbar immun, sie hören die Frage gar nicht mehr. Im Grunde ist sie auch kreuzfalsch gestellt, denn ob ein Platz frei oder besetzt ist, erkennt man bekanntlich daran, ob dort jemand sitzt oder nicht. Korrekt müsste man also fragen Sitzt hier schon jemand? Oder Darf ich mich zu Ihnen setzen? Auch sehr chic Würde es Sie stören, wenn ich mich auf diesen Platz zu Ihnen setze? Es kostet Sie ja nichts, ein paar sauber ausformulierte Worte auszusprechen! Ich bin mir sicher, dass sich der Rüpel, der so lässig auf zwei Sitzen herumfläzt, vor Schreck sofort ganz schmal macht. Übrigens: Nach der Verfügbarkeit eines Sitzplatzes zu fragen tut man nur im Bahn-Fernverkehr. Im Tram, im Bus oder in der S-Bahn darf man sich ganz ungefragt hinsetzen und notfalls auch mit sanfter Gewalt gegen wildfremde Zeitgenossen ankuscheln.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen