Freitag, 3. September 2010

Lauschangriff

Ich kann nicht anders, als im Zug meine Mitpendler zu belauschen. Darf man das? Und: Wie macht man es mit Stil? Katja W., per E-Mail

Katja W. – die Zug fahrende Legende! Ich bewundere, mit welcher unglaublichen Robustheit Sie in Ihrer Kolumne über das Leben als Pendlerin das Erlebte verdauen. Ich «darf» ja nur alle paar Wochen ran, aber Sie – jede Woche zweimal, dazu unter den unbarmherzigen Augen der Leser des grössten Schweizer Revolverblattes («Blick am Abend», Anm. d. Red.)! Doch genug geschleimt und geflirtet.
Sie fragen zwei Dinge. Erstes muss ich folgendermassen beantworten: Man darf andere Menschen im Zug natürlich nicht belauschen – aber man tut es trotzdem, und erst noch mit Lust! Wenn man es tut, um daraus Erkenntnisse (über die Welt und ihre Bewohner) zu gewinnen und diese mit anderen Menschen zu teilen, so wie Sie es tun, dann hat ihr heimliches Zuhören etwas Heroisches. Ihre Beobachtungen werden späteren Generationen unschätzbare Hinweise auf die Gemütslage einer Nation zu Beginn des dritten Jahrtausends liefern.
Ob es nun wichtig ist, andere «stilvoll» zu belauschen, möchte ich jedoch in Frage stellen. Sie können natürlich ganz chic und damenhaft die Beine übereinander schlagen, aber viel wichtiger ist doch, dass Sie Ihre Lauschangriffe möglichst diskret führen. Nur so können Sie wirklich authentische Geschichten aufschnappen. Tun Sie so, als ob Sie ein Buch lesen – vergessen Sie aber nicht, hin und wieder eine Seite umzublättern, um nicht aufzufliegen! Oder kaufen Sie sich einen grossen Kopfhörer, die gerade sehr trendy sind, und tun so als ob Sie Musik hören. Ich freue mich jedenfalls auf Ihre neuen Geschichten!

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