Montag, 3. Mai 2010

Völkerwanderung

Ich habe ein Generalabonnement 1.Klasse und fahre leidenschaftlich gerne Zug. Mich stört aber gewaltig, wenn vor der Ankunft an einem Kopfbahnhof die Massenwanderungen nach vorne einsetzen, durch die Wagen 1.Klasse hindurch. Die meisten Vorbeiziehenden besitzen wohl kein Billett für die 1.Klasse. Ist das Nach-Vorne-Wandern überhaupt erlaubt? Daniel H., Zürich

Ein heisses Eisen, das Sie da anpacken, lieber Reisender! Als die „Basler Zeitung“ Ende 2009 den Fall eines Passagiers zweiter Klasse schilderte, der für seine Anwesenheit in der 1. Klasse gebüsst wurde, gingen die Emotionen hoch wie ein zerstörerischer Tsunami. In über 200 Reaktionen wurde aller aufgestauter Pendlerfrust abgelassen, kombiniert mit einer giftigen Mischung aus Sozialneid und Beamtenhass. Sie können alles im Online-Datenarchiv nachlesen.

Tatsächlich ist allein schon der Aufenthalt im Bereich 1. Klasse ohne ein entsprechendes Billett regelwidrig – auch im Gang oder dem Türbereich. Und damit ich jetzt nicht gleich der Blitzableiter für neue Hasstiraden bin: Das habe nicht ICH mir ausgedacht, sondern die Bahn – die im geschilderten Fall aber auch meinte, dass ihre Kontrolleure „gesunden Menschenverstand“ walten lassen sollten. Es gibt also Ermessensspielraum.

Aus Sicht des Stils und der verfeinerten Lebensführung würde ich sagen: das rituelle Nach-Vorne-Wandern ist anderen Menschen potenziell lästig, also sollte man es sein lassen. Auf dem Perron geht man doch wesentlich unbeschwerter und rascher durchs Leben? Andererseits: Öffentlicher Verkehr ist immer auch eine Frage der Toleranz. Vielleicht widmen Sie sich also künftig besser dem vor dem Fenster vorbeiziehenden Gratispanorama statt der Völkerwanderung im Waggon?

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